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"Bücher sind Schiffe, welche die weiten Meere der Zeit durcheilen."
Francis Bacon

Heute kommt das Büchertaxi!

Ein mobiles Bücherservice im ländlichen Raum

von Elisabeth Zehetmayer

Lesen hält Menschen geistig mobil und erweitert den Horizont. Doch wie sieht es mit der Medienversorgung älterer, nichtmobiler oder kranker Menschen im ländlichen Raum aus? In einer ca. 13.000 EinwohnerInnen zählenden Region im niederösterreichischen Waldviertel werden Medien neuerdings direkt ins Haus geliefert. So wie der Bäcker die Bevölkerung mit frischem Gebäck versorgt, bringt das Büchertaxi geistige Nahrung in Heime und Haushalte.

Die Geburtsstunde des Büchertaxis

Schon lange suchte die Bibliothek Traunstein nach einem passenden Medienangebot für ältere, nicht-mobile oder schwer erreichbare OrtsbewohnerInnen. Bei einem Treffen des Vereins „Bibliodrehscheibe Waldviertel“ im Jahr 2005 tauchte der Gedanke auf, bei der Ideenbörse der Dorf-Stadterneuerung Niederösterreich ein entsprechendes Projekt einzureichen: Das „Regionale Büchertaxi“ sollte das derzeitige Medienangebot noch näher zu den LeserInnen bringen, insbesondere zu Menschen, denen aufgrund einer Krankheit, ihres Alters, ihrer mangelnden Mobilität ein Bibliotheksbesuch nicht oder nur selten möglich ist.

Zu Beginn wurde das Projekt bei einzelnen Institutionen vorgestellt und angefragt, ob sie Interesse an einem Büchertaxiservice hätten. In der Tat wurde das innovative Projekt bei dem Wettbewerb in der Kategorie für 10.000 Euro bewilligt. Doch nun galt es die erforderlichen Eigenmittel in gleicher Höhe aufzutreiben.
Nach zahlreichen Gesprächen mit dem Land Niederösterreich wurde im August 2006 an den Verein der Würdigungspreis von Forum Land in Höhe von € 5.000 überreicht. Inzwischen hat der Verein „Bibliodrehscheibe Waldviertel“ das Büchertaxi gekauft, Bauernbund und Land Niederösterreich sind die größten Projektförderer - zusammen mit den Fördermitteln der Gemeinden ist das Medienangebot sichergestellt.

Obgleich das Projekt finanziell auf sicheren Beinen steht, geht die Suche nach weiteren Geldgebern aktiv weiter. Gute Öffentlichkeitsarbeit und die hohe Präsenz des Projekts in den Medien sollte hierbei hilfreich sein.

On the road...

Seit Jänner 2007 ist das erste Büchertaxi nun unterwegs. Derzeit nehmen vor allem Seniorenheime, Caritaseinrichtungen, aber auch Kindergärten und Schulen das Angebot in Anspruch. So werden
z. B. soziale Einrichtungen in Krems, Waidhofen an der Thaya, Horn, Zwettl, Weitra und Schrems angefahren. Für Schulen, Kindergärten, Bildungseinrichtungen und das Moorheilbad Harbach gibt es spezielle Medienpakete. Inzwischen greifen immer mehr Caritaseinrichtungen (Tagesstätten, „betreutes Wohnen“, Caritasclubs..) auf dieses Service zurück.

In weiterer Folge soll das Büchertaxi seinen Wirkungskreis noch ausdehnen und auch Privathaushalte beliefern. Gemeinden, die nicht Mitglied der Bibliodrehscheibe Waldviertel sind, können diesen mobilen Bücherdienst gegen eine monatliche Gebühr von 50 Euro anfordern.

Ein bis zwei Tage pro Woche ist das Büchertaxi nun zu mittlerweile 16 Stationen unterwegs und erfasst dabei große Teile des Waldviertels. Die Gesamtkoordination erfolgt von Ottenschlag aus, wobei sich die Terminvereinbarung nicht immer einfach gestaltet, da vor allem die Nachmittage besonders begehrt sind. Jede Station wird einmal im Monat angefahren und der nächste Termin wird von Mal zu Mal fixiert.
Ab Juni/Juli sollen auch tschechische Gemeinden betreut werden. Die Kollegin der dortigen Partnerbibliothek in Lomnice spricht perfekt Deutsch und will das Büchertaxiservice in ihrem weitgehend zweisprachigen Gebiet nützen, wobei sie auch tschechische Bücher mitführen wird.

Das Büchertaxi ist so eingerichtet, dass man die Bücherkisten mühelos austauschen kann. Das Auto wird voraussichtlich jeweils 2-3 Tage in Tschechien unterwegs sein und wird dann wieder nach Österreich zurückkommen.

Derzeit greift das Büchertaxi auf über 2.000 Medien zurück, das Angebot umfasst verschiedenste Medienarten und Sachgruppen. Die Medien werden großteils von den Mitgliedsbibliotheken der Bibliodrehscheibe - die zusammen über ca. 30.000 Medien verfügen - bereitgestellt oder neu angekauft. Bei den monatlichen Teamtreffen werden die Medien kontrolliert, ergänzt und ausgetauscht.

Bei älteren Menschen sind Kurzgeschichten und Großdruckbücher besonders gefragt. Im Sachbuchbereich und in der Belletristik erfreut sich alles Historische eines besonderen Interesses. Hörbücher sind gleichfalls beliebt, allerdings sollen sie nicht aus zu vielen CDs bestehen. HeimbetreuerInnen verlangen häufig nach Gesundheitsratgebern, Büchern über Gedächtnistraining oder anderen speziellen Themen für ältere Menschen.

Zu alt zum Lesen?

Am Anfang des Projekts reagierten die HeimbewohnerInnen bei den ersten Besuchen noch recht skeptisch, Bemerkungen wie „Ich bin schon zu alt zum Lesen“, „ich sterbe sowieso bald“ waren da zu hören. Doch nach drei Monaten fand eine spürbare Veränderung statt.

Jeder Besuch des Büchertaxis wird jetzt mit großer Vorfreude erwartet, die SeniorInnen blühen in diesen eineinhalb Stunden auf, reden und borgen sich Lesestoff aus. Die Gespräche sind lebendig geworden und die älteren Menschen haben über die Literatur sichtlich zu einer positiveren Lebenseinstellung gefunden.
Sehr bedeutsam für eine gute Entwicklung ist der erste Kontakt, das erste Gespräch. Die HeimbewohnerInnen werden nicht im Zimmer aufgesucht, sondern in Begleitung ihrer BetreuerInnen in einen Raum geführt, in dem alle Medien aufliegen. Aus dem begrenzten, aber ausreichenden und aktuellen Medienangebot kann selbständig ausgewählt werden.

Die so einfach wie möglich gehaltene Entlehnung erfolgt mit dem Computer und ist dank der Landesförderung für Institutionen gratis. Die KundInnen bekommen keinen Beleg, sondern jede Institution hat ein Konto für ihre BewohnerInnen und zeichnet für den Verbleib sowie eventuelle Schäden der ausgeborgten Medien verantwortlich. Beim nächsten Termin erfolgt die Rückgabe, der Verwaltungsaufwand ist gering, bislang gab es keinerlei Probleme!

Über das Leben sprechen...

Das Kommunikative, das in jeder Öffentlichen Bücherei so entscheidend ist, kommt hier zu den Menschen. Alle treffen zusammen, es wird gelesen und geredet, es geht nicht nur um das Buch, sondern um die Gemeinschaft, eine unbeschwerte Atmosphäre ist zu spüren. Neben diesem wichtigen sozialen Prozess werden die Medien auch intensiv genutzt, positive Rückmeldungen wie „das hat mir jetzt besonders gefallen“ oder „gibt es noch weitere Bücher dieser Autorin/dieses Autors?“ sind keine Seltenheit.

Zuhören und empfehlen ohne aufdringlich zu wirken, Zeit schenken – die MitarbeiterInnen des Büchertaxis sind prädestiniert dafür, sie sind kommunikativ, können auf Menschen zugehen und sprechen „ihre“ Sprache. Als ausgebildete BibliothekarInnen bringen sie die nötige Fachkompetenz mit, für diesen Dienst werden sie teils von der Sozialabteilung des Landes Niederösterreich über das Projekt Mobithek, teils über den Verein Bibliodrehscheibe Waldviertel bezahlt.

Die enge und gute Zusammenarbeit mit den HeimbetreuerInnen ist ganz entscheidend, gemeinsam führt man die HeimbewohnerInnen behutsam zum Projekt hin, denn für viele ist der letzte Bibliotheksbesuch schon eine ganze Weile her oder es ist überhaupt der erste Kontakt mit einer Bibliothek. Eine genaue Erklärung des Entlehnablaufs ist wichtig, der ständige Erfahrungsaustausch der BetreuerInnen mit den HeimbewohnerInnen überbrückt Hemmschwellen. Inzwischen sind die BetreuerInnen selbst zu treuen KundInnen des Büchertaxis geworden!
Mit 20-minütigen Kurzlesungen oder Kurzvorstellungen verschiedener Bücher animieren die BibliothekarInnen ältere Menschen zum Lesen. Gemeinsam mit dem Forum Land sollen künftig auch Veranstaltungen mit KünstlerInnen in den verschiedenen Institutionen stattfinden. Eine AutorInnenlesereise mit dem Büchertaxi ist angedacht. Außerdem sollen Kinder in die SeniorInneneinrichtungen eingeladen werden und dort aus ihren Lieblingsbüchern vorlesen. In der Bibliothek Traunstein gestalten gerade SchülerInnen mit ihren ProfessorInnen eigene, für ältere Menschen gut einsetzbare Hörbücher. Die dortige Bibliothekarin arbeitet außerdem an einem europaweiten Projekt mit, wo es um Biografiearbeit mit SeniorInnen und um die Aufarbeitung von Kriegserlebnissen geht.

In Zukunft sollen die BewohnerInnen der Senioreneinrichtungen unter professioneller Anleitung zum Schreiben kurzer Texte über ihr Leben im Heim sowie über ihre beruflichen und privaten Erlebnisse angeregt werden. - Wir wünschen dem internationalen Büchertaxi weiterhin gute Fahrt!

Bibliodrehscheibe

 

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