Das Leben ein wenig bunter machen
Der SeniorInnen-Treffpunkt der Hauptbücherei Wien
von Elisabeth Zehetmayer
In
Kooperation mit dem Forschungsinstitut des Wiener Roten Kreuzes hat der
Fonds Gesundes Österreich das Modellprojekt „Plan 60 –
Anleitung zum (Un)ruhestand“ ins Leben gerufen und 2004 einen Kurs
für ältere, pensionierte Menschen, die eigene Ideen zu spannenden
Projekten entwickeln wollten, eingerichtet. Die interessierten TeilnehmerInnen
bekamen dort das nötige theoretische Rüstzeug und suchten sich
ein Betätigungsfeld. So verrichten heute einige Dienst in Museen,
andere wiederum besuchen Altersheime, um dort vorzulesen oder Lieder vorzutragen.
Technisch versierte Herren suchen ältere Menschen auf, um für
sie kleine Tätigkeiten im Haushalt auszuführen. Inzwischen gibt
es regelmäßige Gruppentreffen des Plan 60, wo man seine Erfahrungen
austauscht.
Zwei KursteilnehmerInnen, Frau Edith Schönhofer und Frau Christa Auer, entdeckten bei der Suche nach einer geeigneten Tätigkeit, dass in der Hauptbücherei Wien viele ältere Personen beim Umgang mit der Katalogrecherche Hilfe gebrauchen könnten. Das Personal in der HB ist aus zeitlichen Gründen oft nicht in der Lage, detailliertere Unterweisungen für die Medienrecherche zu geben. Rasch haben die beiden Damen den Leiter der HB, Christian Jahl, für ihre Idee eines speziellen Seniorentreffpunkts begeistert.
Dank eines Aufrufs im Kurier und in anderen Zeitungen konnte sich rasch ein Team von neun Personen formieren, das nach eingehenden Fachschulungen (Rhetorik, Projektmanagement, Katalognutzung, Internet..) nun jeden Montag von 11 bis 14 Uhr kostenlose Führungen durch die Hauptbücherei anbietet und ältere Besucher in den elektronischen Medienkatalog unterweist. Zwei Personen machen bei den OPACs Dienst und eine Person übernimmt die Führung. Diese ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sind hochqualifiziert, zum Großteil pensionierte AkademikerIInnen. Franz Cerny, vormals Techniker, heute Bibliothekar mit Leib und Seele, erklärt:
Unser Ziel ist es, älteren Menschen die Schwellenangst vor der Bücherei zu nehmen. Wir haben inzwischen ein gewisses Stammpublikum. Wir schauen herum, ob jemand Älterer da ist, der Hilfe benötigt, und nehmen rasch Kontakt auf. Zumeist sind bei unseren Treffen zwischen 5-15 Personen, nicht immer nur ältere Menschen.
Da wir nie nach dem Alter fragen - die Leute sind da sehr empfindlich - ist für mich das durchschnittliche Alter der TeilnehmerInnen schwer bestimmbar. Für mich beginnt Alter mit der Gebrechlichkeit, nicht schon mit 50plus, ich selbst bin 72! Interessiert sind hauptsächlich Frauen, bis auf wenige Ausnahmen lassen sich Männer ungern etwas zeigen.
Einmal habe ich einer alten Dame auf ihre Bitte hin ausführlich den OPAC und die Medienrecherche erklärt. Daheim hat sie dann ihrem zwölfjährigen Enkel gezeigt, wie man bei den Wiener Büchereien im Katalog recherchiert. Der Enkel rief verblüfft: „Oma, das kannst du?!“ Die Dame war 82 Jahre alt! Nach solchen Erlebnissen bin ich mir sicher: Wir haben das Leben ein bisserl bunter gemacht!
Nachgefragt
Elisabeth Zehetmayer bei Christian Jahl, dem Leiter der Hauptbücherei
Wien
EZ: Wie sind die Reaktionen auf das Projekt „SeniorInnen-Treffpunkt“ bei den Lesern?
CJ: Bei einer Gruppe wie den SeniorInnen erscheinen die Reaktionen immer zu schwach, aber auch Büchereiführungen mit nur fünf Personen werte ich als ein positives Echo. Beliebt sind Sonderführungstermine für spezielle SeniorInneninstitutionen, 40 TeilnehmerInnen sind hier keine Seltenheit.
Erfolgreich sind verschiedene Aktivitäten, die den Seniorentreffpunkt in der Hauptbücherei medial bewerben, z.B. der eigene, viertägige Stand bei der Seniorenmesse im Messepalast im Herbst 2006, wo das Team im Rahmen des Projekt „Plan60“ ihre Bibliothekstätigkeit präsentieren konnte.
Bei Medienberichten über die Hauptbücherei erwähnen wir natürlich stets den SeniorInnentreffpunkt, im „Österreichbild am Sonntag“ wurde z.B. vor kurzem die Selbstverbuchung der Medien von SeniorInnen vorgezeigt. Hier setzt man das Signal: Auch ältere Menschen kommen mit diesen Geräten zurecht. Im Vorjahr wurde ein Beitrag in der ZIB 2 gesendet und im März wurden alle „Plan 60“-Projekte in einer Sendung („Erlebnis Österreich“) vorgestellt.
EZ: Die Hauptbücherei wurde 2003 eröffnet. Von den rund 38.000 Menschen, die sich damals einschreiben ließen, waren nur acht Prozent über 50. Wurde deshalb dieses Projekt gestartet?
CJ: Nein. Die Aktivität in Richtung SeniorInnentreffpunkt ging zunächst alleine von Frau Schönhofer und Frau Auer, den beiden Organisatorinnen des SeniorInnentreffpunkts, aus. Sie hatten die Grundidee für das Projekt. Es vergingen einige Monate vom Erstkontakt bis zum Echtbetrieb. Seit der ersten Anfrage seitens des Roten Kreuzes wurden diese Aktivitäten etappenweise organisiert und umgesetzt.
Bemerkenswert ist, dass sich alle ProjektmitarbeiterInnen im Ruhestand befinden, also mindestens 60-65 Jahre alt sind. Der Altersdurchschnitt der MitarbeiterInnen in der HB allgemein dürfte bei rund 40 Jahren liegen, das wird noch ein Problem, weil wir alle ca. gleichzeitig in Pension gehen werden…
EZ: Wie verläuft die derzeitige Koordination?
CJ: Im Team gibt es sowohl Leute, die gerne Führungen machen, als
auch andere, die lieber den Katalog oder das Leitsystem der Bibliothek
erklären. Die Aufgabenteilung im Team ist vorbildlich. Als Leiter
der Bücherei freut mich besonders, dass diese MitarbeiterInnen innerhalb
des Stammpersonals völlig akzeptiert sind und nicht als Konkurrenz,
sondern als sinnvolle Ergänzung für die Betreuung einer speziellen
Zielgruppe empfunden werden.
Bis auf die Meetings organisiert sich das SeniorInnenteam alles selbständig,
alle Aufgaben werden mit hoher Verantwortlichkeit, Verlässlichkeit
und Kontinuität erledigt. Ich bekomme von den beiden Organisatorinnen
den Teamplan der folgenden Wochen. Die Teammitglieder sind alle von der
Hauptbücherei begeistert, es hat eine große Identifikation
mit dem Haus stattgefunden.
Andererseits wird auch privat viel gemeinsam unternommen, das Team ist sehr eng zusammengewachsen. Ein- bis zweimal im Jahr veranstalten wir ein gemeinsames Essen oder einen Museumsbesuch als kleines Dankeschön für das rein ehrenamtliche Engagement. Es ist ein SeniorInnenprojekt nicht nur für die LeserInnen, sondern auch für die MitarbeiterInnen - wie es der „Plan60“ vorsieht!
EZ: Welche Medien werden von den älteren LeserInnen bevorzugt?
CJ: Meines Erachtens sind - trotz neuer Reihen wie z. B. bei Ueberreuter - die Großdruckbücher von den Hörbüchern ein wenig verdrängt worden. Bei den Sachbüchern sind Themen wie Reisen, Gesundheit sowie Ratgeber aller Art besonders gefragt. Wir versuchen gerade mit einer Fragebogenaktion das geeignete Angebot für SeniorInnen zu eruieren. Wir wollen wissen, ob es überhaupt spezifische Medieninteressen für Personen ab 50 plus gibt. Diese Umfrage wurde uns von der Bestage-Agentur angeboten, wir waren anfangs zögerlich, denn der Nutzen sollte sich mit dem Aufwand einigermaßen die Waage halten. Gespannt erwarten wir das Ergebnis!
EZ: Auffallend war das gesteigerte Interesse bei den Führungen, als es darum ging: „Wie recherchiere ich im OPAC“?
CJ: Das ist ja auch wichtig, eines der fundamentalen Dinge! Unser Ziel ist es, die Leute zu befähigen, Hilfe zu finden, sich selbst helfen zu können. An Einführungskursen in die OPACS besteht ein großer Bedarf.
EZ: Gibt es außer dem Treffpunkt andere auf SeniorInnen zugeschnittene Veranstaltungen, z. B. einen Literaturkreis?
CJ: Eigentlich nur die allgemeinen Veranstaltungen, unser vielschichtiges Veranstaltungsprogramm ist jetzt schon so breit gefächert, dass man nichts Spezielles für diese Zielgruppe anbieten muss. Im Jahr 2006 gab es hier im Haus 556 Veranstaltungen. SeniorInnen sind genausowenig eine homogene Gruppe wie Jugendliche. SeniorInnen gehen beispielsweise zu Lesungen oder besuchen einen Computerkurs, in dem sie die Erstellung eines elektronischen Fotoalbums lernen.
EZ: Natürlich erreicht man mit diesem Projekt in erster Linie die aktiven, noch mobilen SeniorInnen.
CJ: Wir haben alle Seniorenheime kontaktiert und zu Exkursionen zu uns eingeladen. Immer wieder macht eine Gruppe einen Ausflug zu unserem SeniorInnentreffpunkt und nimmt an einer Führung teil, dennoch scheint für einzelne, immobile SeniorInnen unser Hausbesuchsdienst geeigneter. Dafür haben wir spezielle MitarbeiterInnen, die zu den älteren Menschen hinfahren, um sie über die Angebote der HB zu informieren und gleich mit ihnen nach ihren Interessen gelagert im OPAC zu recherchieren. Die ausgewählten Medien werden dann ins Haus geliefert. Der Hausbesuchsdienst wird permanent angeboten, es ist lediglich eine Registrierung nötig. Das ist eine gute Ergänzung, um weniger mobile Menschen noch zu erreichen.
EZ: Ich danke für das Gespräch!